Das Alles für den einen Fisch?
Zwanzig Kilo Gepäck verteilt auf einen schief auf dem Rücken sitzenden Rucksack, eine unförmig ausgebeulte Ikea-Tasche und einen Sechserträger PET-Wasserflaschen (je 1,5 Liter), die mir beide Arme langziehen, wandere ich entlang eines schmalen Trampelpfades. Ich denke an Wandern und Bilder von bestens gelaunten Menschen mit stählernen Waden, karierten Hemden und leichtem Gepäck kommen mir in den Sinn. Das was ich hier mache, mutet ganz anders an: Ich schleppe mich entlang der brüchigen Kante des Steilufers, meine Klamotten sind zu warm, der Schweiß rinnt mir den Rücken runter, die unsachgemäß auf den Rucksack geschnallte Wathose schlackert und tritt mir andauernd in die Kniekehlen. Kinder auf mittelamerikanischen Kakao-Plantagen müssen 50-Kilo-Säcke buckeln, damit wir unsere Ritter-Sport für 80 Cent kriegen – ich weiß. Aber ich? Warum mach ich das? Weil die anderen beiden es auch tun. Jeden Spätwinter, wenn das Wasser sich zu erwärmen beginnt und die ersten Tangläufer träge durch den Tang laufen, ziehen wir behände wie Mammuts zu unserem Lagerplatz an einer kleinen Landzunge, stolpern den Strand entlang und verfluchen den anderen, der einen überredet hat, das Wasser zu schleppen. Der Baumstamm, an den ich mich matt und müde lehnen werde, liegt noch da. Ein weiterer Orkan aus Nordwest oder Nordost und die Bäume am Klippenrand, die mit Teilen ihrer Wurzeln bereits in den freien Luftraum langen, liegen daneben. Jedes Jahr hat das Wetter diesen Abschnitt des Strands verändert. Der Blanke Hans nagt an der Küste und kein noch so tief wurzelnder Baum kann ihm auf Dauer etwas entgegensetzen.
Basislager
Endlich am Basislager angekommen. Als Erstes landen die Wasserflaschen im Sand. Wer braucht für einen Drei-Tagestrip eigentlich neun Liter H2O, wenn man noch genauso viel Liter Bier dabei hat? Apropos: Kaum sitze ich im Sand reicht mir Bastian schon das Willkommens-Bier an. Das Teamwork funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk. 0,5 Holsten in der PET-Flasche – ein Traum. Lange haben wir an den 0,3 Liter Glasflaschen festgehalten, doch es war ein unsinniges Festhalten an Unpraktischem. Es trägt ja auch keiner mehr lange Wollunterhosen, seitdem es Funktionsunterwäsche aus recycelten PET-Bierflaschen gibt.
Das Bier tut gut, doch entspannen kann ich mich nicht lange. Lars steht bereits in Wathosen und knotet einen Meter Flourcarbon an die Geflochtene. Basti wählt schon Blinker und Küstenwobbler für die Box aus, die man mit ins Wasser nimmt. Beide werden mit einem BOSS, 24 Gramm, in Heringsblau die Jagd auf das Küstensilber, wie die Meerforelle ja mittlerweile heißt, beginnen. Besonders innovativ sind die beiden da nicht. Aber irgendwann bleibt man hängen an seinen drei, vier Lieblingsködern. Eine halbe Stunde später steh auch ich im Wasser – als letzter. Der doppelte Grinner, mit dem ich Flourcarbon und Geflochtene verbinde, hat ein paar Mal nicht gehalten. Fehlende Übung, klamme Finger und (vor allen Dingen) die Ungeduld machen das Knoten für mich oft zu einer Qual.
Die anderen beiden werfen wahrscheinlich schon das fünfzigste Mal den Blinker Richtung Horizont – doch noch kein Fisch, kein Biss, Niente. So ist Salmo trutta trutto – selten da und ganz oft weg. Vor zwei Jahren war ich schon eine Stunde vor meinen beiden Angelfreunden an unserem Spot. In dieser Stunde hatte ich zwei Fische gefangen und zwei im Drill verloren. Eine dicke Forelle setzte dem Köder beim aus dem Wasser kurbeln nach. Danach ging über Stunden nichts mehr. In den Abendstunden gingen uns dreien noch ein paar Dorsche an den Haken. Aber keine Spur mehr vom Zielfisch. Auch am nächsten Tag blieben wir drei Schneider. Eigentlich packt man dann seine Sachen und zieht an einem anderen Strand oder sogar in eine andere Bucht. Wenn man ein festes Camp hat und wild am Strand zeltet, fällt diese Option weg.
Abenteuer am Strand
Unsere ersten mehrtägigen Angelausflüge auf Meerforelle fanden vor zehn Jahren an Fehmarns Ostküste statt. Der Strand war so schmal, dass wir morgens von fluchenden Spaziergängern geweckt wurden, die über uns, die leeren Bierflaschen und das ganze Geraffel stelzen mussten. Einmal hat frühmorgens ein Hund an einen von uns raupenähnlichen Wesen in Daunenschlafsäcken gepinkelt. Die Küste in Fehmarn ist leicht kreidig. Nach einem Tag war jedes Kleidungsstück und jedes Ausrüstungsteil von einer weißen Schicht überzogen. Wir sahen aus wie Guano-Schürfer vor der südamerikanischen Küste. Dagegen ist der Strand, an dem wir seit acht Jahren jeden Spätwinter campieren, die reinste Oase. Der Sand lässt sich abklopfen, es ist Platz für ein Feuer, es gibt genügend Holz und ein kleines Wäldchen unweit am Strand bietet etwas Sichtschutz, der beim Verrichten bestimmter Geschäfte sehr entspannungsfördernd ist. Und meistens gibt es auch Fisch.
Endlich Fisch
Die erste Forelle geht zurück, die zweite – wenn maßig – ist für den Grill. Es gibt nichts Leckereres als eine über den Holzkohlen des eigenen Feuers gegrillte, frisch- und selbstgefangene Forelle. Über einem funkeln die Sterne, das Feuer brennt hell und ein kleiner aber feiner Edelstahlflachmann gefüllt mit einem guten Single Malt macht die Runde. Ach, klingt das nicht schön. Und so schön verklärt. Ein Jahr war es so stürmisch, dass die Zelte weggeflogen sind und zwar ins Wasser. Wir haben im Schein der Stirnlampen einen Steinwall als Windschutz gebaut, die Heringe waren weg, und wir gruben Stöcke im Boden ein, an denen wir die Abspannleinen befestigten und auf die wir Findlinge rollten. Wir haben bei Minus 12 Grad Celsius campiert. In den PET-Flaschen schwammen Eisklumpen, die Watjacke war am Morgen steif wie ein Brett und die Beine der Wathosen hätte man wahrscheinlich abbrechen können. Und es gab Jahre da war kein trockenes Stück Holz und leider auch kein trockenes Blatt Klopapier zu finden. Neopren-Wathosen haben bei mir eine Lebensdauer, die nur von Zahnbürsten noch unterschritten wird. Acht Stunden in der Dünung zu stehen und fortlaufend zu registrieren, wie die Wassersäule in dem einen lecken Hosenbein höher und höher steigt, kostet Kraft. Die Kälte lutscht einem die Energie aus dem Körper und der Gedanke, dass man Morgen früh wieder in die nasse Wathose steigen muss, zermürbt die Moral.
Werfen, werfen, werfen…
Und dann dieses stundenlange Werfen und nichts, einfach gar nichts passiert. Doch dann auf einem Mal ruckt es in der Rute und zwar richtig, man hiebt an – energisch, aber bitte nicht so doll wie beim Hecht. Der Fisch springt und das Adrenalin läuft einem aus den Ohren. Wenn die Forelle dann im Kescher liegt, sind die Strapazen vergessen. Dinge, für die man kämpfen musste, sind doch die schönsten. Ich habe mir grad Fotos von meinem Angelfreund Bastian angesehen. Er hält eine Meerforelle in den Armen wie in Neugeborenes – die kleine Mefo ist gesund, misst schon 78 Zentimeter, wiegt 5600 Gramm, der Fang war anstrengend, aber letztlich sind alle wohlauf und der Papi ist stolz wie Bolle.
Wir kommen wieder
Dieses Jahr werden wir wahrscheinlich erst im April für ein Wochenende an die Küste fahren. Der Winter, der bis dato kein richtiger war, wird dann nominell bereits zu Ende sein. Im Wasser wird das Leben pulsieren. Die Seeringelwürmer haben bereits Hochzeit gefeiert, die Sandaale sind feist und rund und tausende von Forellen wurden von uns Hobbyanglern in 2015 aus der Ostsee geangelt worden sein. Die Angler, die uns in den letzten Jahren kurz mal Gesellschaft geleistet haben und auf einen frisch aufgebrühten Kaffee in unser Räuberlager kamen, waren meist Locals. Sie kennen ihre Strände, wissen bei welchem Wind und welchen Wassertemperaturen, man wo die besten Aussichten auf Forellen hat. Sie haben bestimmt einen besseren Schnitt als wir. Für uns ist die Forelle der Fisch der zweitausend Würfe. Unser Wochenende ist lang geplant, Wind und Wetter hingegen völlig unplanbar. Wir sind stationär und nicht nomadisch. Das ist sicher kein Erfolgsrezept für eine gute Fangquote, doch bei dem Mefo-Camp geht es ja auch noch um ganz andere Dinge: Ein Wochenende draußen, ein gutes Feuer, Freundschaft und Geschichten – von dicken Fischen.
Musthaves / Nicht vergessen / Gadget-Tipps:
Wasserdichte Packsäcke
Flachmann (voll)
Spiritus & Trangia (zum Kochen oder zum Feuer entfachen)
Stirnlampe
Ersatzbatterien (AA und AAA)
Kleines Radio (wegen Bundesliga)
Scharfe Säge
Kleines Beil
Landmann Fischbräter
Sitzkissen
Text & Fotos: Andreas Lampe